Franzi, das kleine Straußenkind

Eine Tiergeschichte

Zu einer Zeit, als der Tag und die Nacht gleich lang waren, traf eines Morgens ein besonders heller Sonnenstrahl genau auf die Nase eines Straußenkindes.

Franzi, so hieß nämlich dieses Mädchen, hatte nichts gegen die Sonne. Wenn sie aber zu früh geweckt wurde, dann drehte sie sich schnell aus dem Licht und schlief einfach weiter.

Franzi war das einzige Kind von Alexandra, der Straußenmama, und Franz, dem Straußenpapa. Sie lebten in Afrika nahe dem Berg Kilimanjaro. Man nannte diese Gegend ein Naturschutzgebiet. Sie hatten Glück hier leben zu dürfen. Es gab genug zu essen und zu trinken. Eine weite Graslandschaft dehnte sich um ihr Nest aus, das geschützt im beintiefen Gras lag. Vereinzelt gab es auch Büsche und Bäume. Ein nahe gelegenes Sumpfgebiet versorgte viele Tiere mit Wasser. Die Sonne stand mittlerweile schon hoch am Himmel, als Mama Franziska einen KUSS gab, um sie endlich zu wecken. „Los raus aus den Federn“, sagte sie, „Du verschläfst ja noch den ganzen Tag!“ und außerdem wartet Melli schon auf Dich.

Melli war ein Springmausmädchen und ihre beste Freundin. Sie wohnte mit ihren Eltern nicht weit vom Nest der Straußenfamilie entfernt. Sie war einfach cool, hatte tolle Spielideen und verrückte Einfälle. Aus diesem Grund war es nicht schwer nir Franzi sofort aufzustehen. Nach einem viel zu kurzen Frühstück und einer Katzenwäsche ging’s schon hinaus.

„Hast Du Lust dort drüben bei den Hügeln mit den Fuchskindem zu spielen?“, fragte Franzi Melli. Natürlich hatte sie Lust. Es gab selten etwas, wozu Melli keine Lust hatte. Und schon wurde überlegt, was sie noch alles unternehmen könnten. Dass Mama Alexandra ihnen nachrief auf sich aufzupassen und nicht zu spät nach Hause zu kommen, hörten sie nicht mehr. Mittags setzten sie sich unter einen Eukalyptusbaum, verspeisten ihre Wegzehrung und träumten vor sich hin. „Wir könnten wieder die Termiten argem oder Heuschrecken fangen“, schlug Franzi vor, „aber vorher kitzeln wir noch ein paar Grillen aus ihren Löchern“, sagte Melli.

Sie kamen zu den Hügeln, aber die Fuchskinder waren nirgends zu finden. „Komisch, sie waren doch sonst immer da“, waren sie sich einig „und außerdem ist es seit kurzem so seltsam still“, bemerkten sie.

Familie Fuchs wurde von allen in der Gegend hoch geachtet, sie war sehr klug, wusste sehr früh wann Gefahr drohte. Auch wenn man krank wurde, halfen sie jedem, der sie darum bat. Als sie am Höhleneingang angelangt waren, schauten sie in das besorgte Gesicht des Fuchsvaters. „Melli, Franzi, Ihr seid in größter Gefahr! Nicht weit von hier schleicht ein Löwe umher – so wie er sich benimmt, scheint er großen Hunger zu haben.“ Schnell stiegen sie eine kleine Anhöhe hinauf und schauten über die Savanne. Tatsächlich schlich ein Löwe geradewegs auf sie zu. Er war noch ein ganzes Stück weit von ihnen entfernt, aber seine Körpersprache ließ vermuten, dass er es auf sie abgesehen hatte. Geschwind liefen sie wieder zu Vater Fuchs. Melli kann sich in ein weit verzweigtes altes Mäusehöhlensystem in Sicherheit bringen, schlug Vater Fuchs vor. Es ist momentan unbewohnt. Der Eingang ist nicht weit von hier. So könnte sich Melli nach Hause durchschlagen. Melli wollte Franzi nicht alleine lassen, doch Vater Fuchs bestand darauf, dass Melli sofort das Höhlensystem aufsuchte. Schweren Herzens verabschiedeten sie sich und Melli verschwand mit Tränen in den Augen im Gras. Mama Fuchs zeigte ihr den Eingang zur Höhle.

Der Familie Fuchs kann der Löwe nichts anhaben. Die Fuchsbaugänge sind viel zu eng für einen Löwen. Doch Franzi ist dem Löwen schutzlos ausgeliefert. „Was soll ich nur tun?“, fragte Franzi mit ängstlicher Stimme Vater Fuchs.

Eine Straußenlegende besagt, dass Straußen bei Gefahr nur den Kopf in den Sand zu stecken brauchen, und schon ist die Gefahr vorüber, weil man sie dann nicht mehr sieht. Franz, ihr Vater, warnte sie einmal eindringlich davor. Gefahren so zu begegnen. Vielmehr wäre es wichtig, der Gefahr ins Auge zu sehen. Nur so könne man der Gefahr klug begegnen.

Vorsichtig hob Franzi ihren Kopf aus dem Gras und sah, dass der Löwe auf einer kleinen Anhöhe stand und zu ihnen herüber sah. Schnell duckte sie sich wieder. „Was soll ich nur tun?“, fragte Franzi Vater Fuchs. „Hier kannst Du nicht bleiben!“, meinte er. „Du musst Dich wegschleichen! Dein Federkleid ist zu buschig, es würde zu viele Grashalme bewegen.

Der Löwe würde die sich verräterisch bewegenden Grashalme sehen. Dann wäre es um Dich geschehen! Ich mache Dir einen Vorschlag: Nimm diese Medizin ein, sie wird bewirken, dass Du Dein Federkleid verlierst – ohne Federn kannst Du versuchen. Dich geduckt an dem Löwen vorbeizuschleichen. Über die ausgefallenen Federn brauchst Du nicht traurig sein, sie würden bald wieder nachwachsen!“

Franzi überlegte nicht lange. Schnell war die Medizin genommen. Sogleich verlor sie ihr Federkleid. Schnell machte sie sich geduckt auf den Weg, denn es galt ja keine Zeit zu verlieren. Familie Fuchs wünschte ihr viel Glück! Sie wählte als Weg einen Elefantentrampelpfad, weil er etwas niederer war als das restliche Gelände. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Es war schwer, so lange gebückt zu gehen. Ihre Angst, der Löwe könnte sie doch entdecken, war groß. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie jetzt schon außer Sichtweite des Löwen sein musste. Sie getraute sich aber noch nicht aufzublicken. Erst viel später hob sie das erste Mal zaghaft den Kopf. Der Löwe war nicht mehr zu sehen. Sie spürte ein tiefes Gefühl der Erleichterung. Es war schon Abend geworden. Ihr war kalt. Sie sehnte sich nach zu Hause, wo ihre Eltern bestimmt schon besorgt auf sie warteten. Als sie in die Nähe ihres Nestes kam, hörte sie schon, wie Papa und Mama nach ihr riefen. Die Freude war übergroß, als sie sich wieder sahen. Sie hatten Tränen in den Augen, als sie erführen, in welcher Gefahr sich Franzi befand. Sie musste ihren Eltern versprechen, künftig noch besser auf sich zu achten, da es sein kann, dass der Löwe wieder kommt und eine günstigere Gelegenheit abwartet. Franzis Federn wuchsen bald nach; sie traf sich auch mit Melli wieder, um zu spielen. Aber irgendetwas hatte sich seit damals geändert. Sie hörte viel intensiver auf alle Geräusche, hob öfter mal den Kopf, um zu prüfen, ob Gefahr drohe. Auch die Schmetterlinge kamen ihr viel bunter vor als früher. Selbst die Luft, die sie einatmete, hatte einen wohl riechenden Duft.

So verbrachten sie noch viele schöne Stunden unter ihrem Eukalyptusbaum. Träumten von großen Grillen, die sich kitzeln ließen, von Termitenhügeln, die so groß waren wie Elefanten und von großen Heuschrecken, auf deren Rücken sie fortfliegen konnten, um neue lustige Dinge zu erleben.

-ENDE-

Franzis Papa